Ein Interview über Resilienz und Resilienisch - mit Fragen von Fabian Grolimund

Liebe Nora, du hast eine Resilienz-Schule eröffnet. Einige kennen den Begriff Resilienz vielleicht noch nicht: Was versteht man genau darunter?

Resilienz ist unsere innere Widerstandskraft, die Fähigkeit, nach Krisen, Stress und Traumata wieder in die eigene Mitte zu finden. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen resilire, das so viel wie zurückspringen bedeutet. Treffend ist auch der Vergleich zum Immunsystem: Ähnlich wie unser Immunsystem eine Antwort auf eine Grippe finden muss, stärkt es unser psychisches Immunsystem, wenn wir eine Krise meistern.

Es ist also durchaus förderlich, wenn Kinder auch Stressmomente erleben?

Genau. Als Eltern möchte man seinen Kindern möglichst alles Leid ersparen. Aus der Forschung wissen wir aber, dass ein zu behütender Erziehungsstil die Kinder nicht auf das spätere Leben vorbereitet. Wichtig ist aber, dass Kinder gut durch ihre Stressmomente begleitet werden und immer stärker dazu in die Lage versetzt werden, ihre Probleme selbst zu lösen.

Es geht also darum, Antworten auf Stressmomente zu finden und dadurch das psychische Immunsystem zu stärken. Stress ohne solche «Antwort» kann zu Hilflosigkeit und Überforderung führen. Das heißt: Eltern und Fachpersonen sollten Kinder in Stressmomenten weder alleine lassen noch ihnen alles abnehmen, sondern sie befähigen, diese zu bewältigen.


Kannst du ein Beispiel machen?

Dazu eigenen sich eigentlich alle stressverursachenden Momente aus dem Alltag: Ein Misserfolg, ein Streit, ein Frustrationserlebnis. Nehmen wir an, das Kind streitet sich mit dem Geschwisterkind: Als Eltern können wir diese Situation begleiten, indem wir beschreiben, was passiert («Ihr wollt beide auf dem Platz sitzen.»), Gefühle und Bedürfnisse benennen («Es ärgert euch beide, dass der andere nicht nachgibt.») und den Kindern einen Teil der Verantwortung für die Lösung übergeben («Was könntet ihr tun, wenn beide das Gleiche wollen?»).

Manchmal hilft es auch, wenn man den Kindern gegenüber anerkennt, dass manche Schwierigkeiten ziemlich knifflig sind: «Das ist jetzt wirklich kein leichtes Problem.» So kann man die Kinder einladen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, ohne selbst die alleinige Verantwortung für die Lösung zu übernehmen.

Die Kinder erleben ja nicht nur zu Hause stressige Momente, sondern auch im Sportverein oder in der Schule. Wie kann ich als Fachperson reagieren? Beispielsweise, wenn ein Kind einen Vortrag halten soll und nervös ist?

Auch hier ist es hilfreich, zuerst die stressauslösende Situation zu beschreiben («Der Gedanke daran, nach vorne zu gehen und dein Plakat vorzustellen...»), Gefühle zu benennen und anzunehmen («… macht dich nervös – das ist okay – viele Kinder und auch Erwachsene sind beim Vortragen am Anfang nervös.») und das Kind in die Lösung mit einzubeziehen (z.B. «Was würde dir helfen, den Vortrag zu halten?). Gerade wenn das Kind mitten im Stressmoment ist und nicht gut nachdenken kann, ist es wichtig, Vorschläge zu machen («Möchtest du den Vortrag im Sitzen von deinem Platz aus halten? Oder magst du jemanden mit nach vorne nehmen?»).

Ein Kind gut durch einen schwierigen Moment hindurch zu begleiten hat also viel damit zu tun, wie ich in solchen Momenten mit ihm spreche. Du hast dafür einen eigenen Begriff geprägt: Resilienisch. Also eine Sprache, die die Resilienz des anderen stärkt. Kannst du das etwas näher beschreiben?

Gerne. Dahinter steht der folgende Gedanke: Das was Kinder in stressigen Situationen immer wieder erleben, die Worte und vor allem unsere Haltung, wird über die Jahre zu ihrer inneren Stimme. Diese innere Stimme kann uns helfen, Probleme zu lösen und gut für uns zu sorgen. Sie kann aber auch kritisch, abwertend und verurteilend sein und uns hilflos, aggressiv oder traurig machen. Viele von uns haben in der Kindheit keine besonders stärkenden Stimmen mitbekommen. Diese werden in Stresssituationen aktiviert und vielleicht an unsere Kinder weitergegeben. Resilienisch zu sprechen bedeutet, dass wir uns bewusst um eine stärkende Sprache bemühen. Wie beim Erlernen einer Fremdsprache fühlt sich das am Anfang oft etwas fremd an. Wir fallen immer wieder in unsere «Mutter- und Vatersprache» zurück. Doch mit der Zeit, beharrlichem Üben und der nötigen Fehlerfreundlichkeit, gelingt es uns immer besser, Resilienisch zu sprechen.

Du hast dich in viele Themen der Psychologie eingearbeitet. Seit fünf Jahren befasst du dich aber fast ausschließlich mit Resilienz. Was fasziniert dich so nachhaltig daran?

Der wichtigste Faktor, der Menschen resilienter werden lässt, ist eine gute Beziehung. Eine gute Beziehung zu mir selbst, zum Leben und zu anderen Menschen: Gelingt es mir, eine bejahende Grundhaltung zu meinem gesamten Gefühlserleben zu entwickeln? Auch – aber nicht nur – in Krisensituationen? Kann ich schwierige Momente als Wachstumschancen sehen und der Zukunft optimistisch entgegenblicken? Und kann ich Beziehungen stärkend gestalten und auch durch Konfliktsituationen hindurch mit anderen in Verbindung bleiben?

Das sind für mich zentrale und spannende Fragen, für die es sich lohnt, ein Leben lang nach Antworten zu suchen.

Du hast eine Resilienz-Schule gestartet. Was bietest du dort an?

Neben den Resilienisch-Kursen für Eltern und Fachpersonen gibt es eine Weiterbildung zur Resilienztrainer*in und Resilienztrainings für Kinder und Lehrkräfte. 

Alle Infos zu den Angeboten findest du hier auf der Übersichtsseite.

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